K.Härter: Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit

Cover
Titel
Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit.


Autor(en)
Härter, Karl
Reihe
methodica – Einführungen in die rechtshistorische Forschung
Erschienen
Oldenburg 2018: De Gruyter Oldenbourg
Anzahl Seiten
204 S.
von
Tina Adam

In den letzten Jahrzehnten hat sich das Forschungsfeld zu Kriminalität, Strafjustiz und Strafrecht als prosperierende Subdisziplin der Geschichtswissenschaft etabliert. Mit seiner Einführung liefert der Rechtshistoriker Karl Härter erstmals eine deutschsprachige Übersichtsdarstellung, welche die beiden Fachrichtungen, Strafrechts- sowie Kriminalitätsgeschichte, in integrativer Perspektive diskutiert. Dieser Ansatz ist begrüssenswert, zumal sich die rechtlich-institutionell gestützte Strafrechtsgeschichte und die sozial- und kulturhistorisch orientierte Kriminalitätsgeschichte nach anfänglichen Berührungsängsten angenähert und gegenseitig bereichert haben. Ziel des Autors ist es, diese fruchtbaren Wechselwirkungen sowie das resultierende interdisziplinäre Potenzial beider Bereiche aufzuzeigen und für künftige Forschungen nutzbar zu machen. Damit geht er in dieser Hinsicht einen Schritt weiter als Gerd Schwerhoff, der in seiner Einführung in die Historische Kriminalitätsforschung das Thema «Kriminalität und Recht» zwar durchaus aufgreift, die geschichtswissenschaftliche Untersuchung von Kriminalität jedoch primär aus einem kulturhistorischen Blickwinkel erfasst.1

Die vorliegende Einführung erscheint in der Reihe methodica – Einführungen in die rechtshistorische Forschung, die vom Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte (Frankfurt a. M.) herausgegeben wird. Dem Zweck dieser Institutsreihe entsprechend beleuchtet Härters Einführungswerk schlaglichtartig die Strafrechtsgeschichte als wichtigen Teilbereich der Rechtsgeschichte und vermittelt grundlegende Informationen über Quellen, Hilfsmittel, Methoden und Konzepte. Die Darstellung behandelt räumlich das Heilige Römische Reich deutscher Nation und umfasst eine Zeitspanne vom späten Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert.

Einleitend bietet das Buch einen Überblick über die Historiografie beider Forschungsrichtungen und stellt die wichtigsten Themenfelder, Methoden und Ergebnisse vor. Einerseits werden in diesem Kapitel die Differenzen der beiden Forschungszweige deutlich. Andererseits demonstriert der Autor eloquent das interdisziplinäre Potential, welches sich insbesondere in gemeinsamen Schnittstellen in den Quellen und in den Anleihen bei allgemeinen sozial- und kulturwissenschaftlichen Konzepten herauskristallisiert. Im folgenden Kapitel werden zentrale Begriffe, Theorien und Konzepte von Kriminalität, Strafrecht und Strafjustiz historisch-analytisch diskutiert. Dabei unterstreicht Härter die gegenseitige Abhängigkeit von historischer Kriminalitätsforschung und Strafrechtsgeschichte und führt sein Plädoyer für eine stärkere interdisziplinäre Vernetzung beider Disziplinen weiter aus. So bedürfen die durch Multinormativität, Pluralität und Diskursivität charakterisierten strafrechtlichen Normen der Frühen Neuzeit einer historisch operationalisierbaren Legaldefinition von Kriminalität, welche die «historische Realität» des Umgangs mit Kriminalität berücksichtigt. Die historische Kriminalitätsforschung versteht Kriminalität als gesellschaftliches Konstrukt, als Produkt von Normen und Zuschreibungsprozessen, die dem historischen Wandel unterworfen sind. Ohne Rückbindung an Normativität hält jedoch auch das Devianz-Konzept nicht stand.

Eindrucksvoll präsentiert die vorliegende Einführung in ihrem ausführlichsten Teil sämtliche Quellen, die im Zusammenhang mit Kriminalität, Strafrecht und Strafjustiz im Alten Reich entstanden sind. Diese reichen von den strafrechtlichen Normen über Gerichts- und Kriminalakten aus der Rechtspraxis bis hin zu öffentlichen Medien, die sich im Zusammenhang mit der Strafjustizpraxis entwickelten. Die Quellen werden sehr sorgfältig in der Logik ihres Entstehungskontextes besprochen. Der Autor thematisiert quellenkritisch das Potenzial der verschiedenen Akten und die sich ergebenden Analysemöglichkeiten. Auch die entsprechenden Hilfsmittel für den Umgang mit den Kriminalquellen sowie Editionen finden Erwähnung.

In einem weiteren Teil werden kurz die wichtigsten Forschungskontroversen wie das Verhältnis von Strafrecht, Strafjustiz und Kriminalität, die Divergenz von Norm und Justizpraxis, die These der Zivilisierung der Gewalt oder die Funktion der Strafjustiz im historischen Wandel vorgestellt. Knapp verweist der Autor auf weitere Forschungsperspektiven, welche sich aus einer interdisziplinären Sichtweise ergeben. Abgerundet wird der Band mit einer umfassenden Bibliografie.

Insgesamt bietet die Einführung eine sehr gelungene und übersichtliche Darstellung beider Teildisziplinen und viele Hinweise auf fruchtbare Synthesen. Etwas bedauerlich ist, dass die unterschiedlichen geschichtswissenschaftlichen Forschungsergebnisse nur stark zusammenfassend diskutiert werden. Durch die Eingrenzung auf die deutschsprachige Forschungslandschaft verpasst zudem auch diese Einführung die Chance, endlich den Blick über den Tellerrand zu wagen und einen gesamteuropäischen Abriss zu skizzieren. International sehr produktive Ansätze wie die für die Historische Kriminalitätsforschung bedeutende Gender-Forschung kommen so kaum zur Sprache. Erfreulich sind hingegen Akzentuierungen auf innovative Forschungstendenzen wie das Konzept der Infrajustiz, welches den Bereich der aussergerichtlichen Konfliktregulierung erfasst, oder die Bedeutung von Kommunikationsprozessen und Medien in der Kriminalitätsforschung.

Obwohl Härter mit seinem Buch wichtige neue konzeptuelle Impulse aufzeigt, die künftig für beide Forschungsrichtungen relevant sind, bleibt Schwerhoffs Einführungswerk für die Historische Kriminalitätsforschung als solche weiterhin unverzichtbar. Während Härters Einführung ganz der Forderung der Herausgeber nach einer «praktischen Anleitung» für rechtshistorisches Arbeiten nachkommt, beschäftigt sich Schwerhoff seinem sozial- und kulturhistorischen Hintergrund entsprechend mit den Erscheinungsformen der Kriminalität und ihrem Wandel in der Geschichte. Dadurch rücken die einzelnen Deliktfelder und Delinquenten stärker in den Fokus und Kriminalität wird auch in ihrer sozialen Dimension fassbar. Dennoch: Mit der vorliegenden Einführung ist der gemeinsame Grundstein für eine synthetisierende Forschung in beiden Subdisziplinen, der Strafrechts- sowie der Kriminalitätsgeschichte, gelegt.

1 Gerd Schwerhoff, Historische Kriminalitätsforschung, Frankfurt a. M. / New York 2011.

Zitierweise:
Tina Adam: Karl Härter: Strafrechts- und Kriminalitätsgeschichte der Frühen Neuzeit, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenburg, 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 457-459.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 69 Nr. 3, 2019, S. 457-459.

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